Ein Lautsprecher unterschlägt Verzerrungen

Erstellt von:
28 August 2015
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Beim Betreten des Ladens springt mein Händler vom Hörplatz auf und begrüsst mich erfreut. Kundenbesuche mit so enthusiastischem Empfang mag ich und den Grund dafür sollte ich auch gleich erfahren. „Setz dich hin, hör dir das an“ sagte er. Wir hörten die Koloraturarie der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte (Der Hölle Rache kocht…). Was war das, die bekannte Arie mit der hohen Sopranstimme hatte feine, aber wahrnehmbare Verzerrungen. Die Aufnahme an sich war nicht schlecht, aber man hörte, dass es eine ältere Aufnahme sein musste, 70er oder frühe 80er Jahre. Alles klar: eine analoge Aufnahme mit einem deutlich in die Sättigung geratenen Band, dachte ich. Weiter sagte der Händler, aber die Verzerrungen höre ich nur auf deinen Bowers & Wilkins 802 Diamond Lautsprecher. Tatsächlich, auf der zum Vergleich daneben stehenden Box waren keine Verzerrungen hörbar.

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Bei dieser Aufnahme handelt es sich um eine Einspielung von Mozarts Zauberflöte welche im Oktober 1969 in den Wiener Sofiensälen aufgenommen wurde und als remastered Version als SACD erhältlich ist. Die Einspielung mit den Wiener Philharmonikern unter Georg Solti, mit dem Chor der Wiener Staatsoper und den Solisten Pilar Lorengar als Pamina, Christa Deutekom als Königin der Nacht, Stuart Burrows als Tamino, Hermann Prey als Papageno und Martti Tavela als Sarastro.

Seit diese Aufzeichnung existiert hat sie diese kleinen Verzerrungen bei dieser Arie. Diese waren auch schon damals beim Abspielen der Vinyl Schallplatte hörbar. Allerdings hat das in den 70er Jahren viele Musikfreunde vermutlich nicht gestört oder sie haben es mit der dann verwendeten Elektronik und Lautsprechern nicht hören können. Ob dieser kleine Fehler deshalb nicht behoben wurde wissen wir nicht.

Woher kommen diese Verzerrungen?

Da die Verzerrungen bereits auf der Schallplatte zu hören waren, kann es sich nicht um Übersteuerungen in der CD / SACD Produktion handeln. Dies bestätigt die Spektalanalyse, die Pegel der CD/SACD sind korrekt und es ist genügend Headroom vorhanden. Die Verzerrungen müssen schon auf dem Masterband vorhanden gewesen sein. Deshalb müssen sie bei der Aufnahme entstanden sein. Da können eigentlich zwei Möglichkeiten in Betracht gezogen werden: Eine Übersteuerung der Mikrofone, zum Beispiel durch zu naher Aufstellung und dadurch einem zu hohen Schalldruck der Sopranstimme oder die Bandmaschine wurde durch zu hohe Pegel in die Bandsättigung getrieben.

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Spektrumanalyse – Arie Königin der Nacht – Solti

Diese Aufnahme ist sowohl als Standard CD als auch als SACD und als Download erhältlich. Die hier verwendete SACD wurde im JVC-Mastering Center in Japan unter der Verwendung der A/D Wandler-Flaggschiffe von Esoteric hergestellt und wird auch unter dem Label Esoteric vertrieben. Beim Re-Mastern ist es wichtig die Qualität der Original-Masterbänder möglichst getreu übernehmen zu können. Der eingesetzt A/D-Wandler ist aber nicht das kritische Element. Wesentlich ist, dass die Kalibrierung der abspielenden Tonbandmaschine möglichst genau auf die damaligen Aufnahmebedingungen eingestellt ist, damit die feinsten Details auch zum A/D-Wandler gelangen.

Ich bin auch der Meinung, dass es nicht sinnvoll ist „historische“ Aufzeichnungen als SACD oder in einem Hi-Res Format anzubieten. Denn wo soll die höhere Auflösung herkommen, wenn das Masterband von einer analogen Bandmaschine stammt welche weder vom Frequenzumfang noch von der Dynamik eine höhere Auflösung als CD-Qualität erreichen konnte. Insbesondere wenn man auch weiss, dass ein Masterband nie das Band mit der ersten Aufzeichnung ist, sondern im besten Fall ein Band dritter Generation. Denn die Rohaufnahme musste noch weiter bearbeitet werden um eine Schallplatte herstellen zu können. Und kopieren im analogen Bereich hiess immer auch Qualitätsverluste, wenn auch kleine aber es waren Qualitätseinbussen vorhanden besonders der Rauschanteil, aber auch Verzerrungen erhöhten sich.

Warum sind diese Verzerrungen auf einem Lautsprecher hörbar und auf dem andern nicht?

Sind die Verzerrungen schon auf der Aufnahme drauf, dann muss es am Konstruktionsprinzip des Lautsprechers liegen, wenn einer von Beiden diese Verzerrungen unterschlägt.

Der Aufbau des einen Lautsprechers besteht aus einem Dual-Concentric Lautsprecherchassis welches in der Urversion 1947 auf den Markt kam und im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt wurde. Der Hochtonlautsprecher ist bei dieser Konstruktion genau in der Mitte des Basslautsprechers untergebracht und  mit einer Aluminiumlegierten Kalotte ausgestattet. Das Dual-Concentric-Prinzip hat sich zu einer extrem verfeinerten, speziellen Serie von Lautsprechern entwickelt, die sich weit von den anfänglichen Modellen entfernt haben.

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In der 802 Diamond von Bowers & Wilkins wird eine Diamant-Hochtonkalotte eingesetzt. Eine revolutionäre Entwicklung welche 2005 erstmals auf den Markt kam. Damals wurde die Aluminiumkalotte zum ersten Mal durch eine aus Diamant ersetzt. Dies war eine Entwicklung von Bowers & Wilkins in Zusammenarbeit mit der Englischen Firma Element Six welche in der Fertigung von Industrie Diamanten tätig ist und ein Verfahren entwickeln konnte um einen künstlichen Diamanten in dieser Kalotten-Form herzustellen. Diamant ist deshalb ein ideales Material für eine Hochtonkalotte, weil es bei sehr geringer Masse extrem Verwindungsfest ist und deshalb die Aufbrechfrequenz auf 70kHz gesteigert werden konnte. Die 802 Diamond ist ein 3-Wege-System in welchem die Lautsprecherchassis in jeweils eigenen Gehäusen untergebracht sind und der Hochtonlautsprecher zuoberst auf dem Lautsprecher sitzt (Tweeter on top Konzept). Fazit: Die 802 Diamond hat ein absolut sauberes und lineares Verhalten im gesamten Hochtonbereich und weit über die menschliche Hörgrenze hinaus.

Durch diese unterschiedlichen Lautsprecher Systeme ergeben sich auch sehr unterschiedliche Klangergebnisse.

Doch welchen Lautsprecher soll man nun wählen?

Den Schöngeist, der die Verzerrungen unterdrückt, das Klangbild rundet, beschönigt oder den der Details, Nuancen offen legt, ehrlich zeigt, was in einer Aufnahme drin steckt – das Faszinierende, wie das Lästige?

Dies ist eine Grundsatzfrage, die sich jeder Musikliebhaber stellen muss. Moderne Aufnahme- und Wiedergabetechnik ist fähig uns eine Klangwelt in den Wohnraum zu transportieren, die an Präzision und originalgetreuer Reproduktion alles in den Schatten stellt, was wir bisher gewohnt waren. Allerdings haben wir uns über die Jahre an ein bestimmtes Klangbild gewöhnt – vor allem jene Hörer die noch in der reinen Schallplatten Ära ihre ersten Hörerfahrungen gemacht haben. Neues kann zunächst irritieren, mit dem gewohnten in Konflikt geraten. Hier hilft, unvoreingenommen hinzuhören. Über die Zeit wird man in beiden Welten faszinierende Facetten entdecken.

Wenn, wie bei diesem Händler beide Systeme auf einem überaus hohen Niveau spielen entscheidet am Schluss selbstverständlich der Geschmack und die Hörerfahrung des Hörers. Oder wie es John Bowers zu sagen pflegte: „Der beste Lautsprecher ist nicht der, der möglichst viel aus einer Aufnahme herausholt. Vielmehr ist es der, der am wenigsten von ihr verliert!“